Die Gefahrstoffverordnung und die Sachkunden für die Anwendung von antikoagulanten rodentiziden Bioziden

Der Unterschied zwischen Fach- und Sachkunden ergibt sich aus den entsprechenden Definitionen der GefStoffV, in der es sinngemäß in den Begriffsbestimmungen heißt:

Fachkundig ist, wer zur Ausübung einer bestimmten Aufgabe über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügt. Zu den Anforderungen zählen eine entsprechende Berufsausbildung, Berufserfahrung oder eine zeitnah ausgeübte entsprechende berufliche Tätigkeit sowie die Teilnahme an spezifischen Fortbildungsmaßnahmen (GefStoffV § 2, Abs. 16).

Sachkundig ist, wer seine bestehende Fachkunde durch Teilnahme an einem behördlich anerkannten Sachkundelehrgang erweitert hat. In Abhängigkeit vom Aufgabengebiet kann es zum Erwerb der Sachkunde auch erforderlich sein, den Lehrgang mit einer erfolgreichen Prüfung abzuschließen. Sachkundig ist ferner, wer über eine von der zuständigen Behörde als gleichwertige anerkannte Qualifikation verfügt (GefStoffV § 2, Abs. 17).

Um eine Struktur in die Fach- und Sachkundenlandschaft, die sich auf den Einsatz der oben genannten Biozidprodukte bezieht, zu bekommen, werden drei Betrachtungsebenen für diese Fach- bzw. Sachkunden berücksichtigt:

  1. die tierschutzrechtliche Ebene (denn Rodentizide werden gegen Wirbeltiere eingesetzt),
  2. die chemikalienrechtliche Ebene und
  3. die (biozid-) zulassungsrechtliche Ebene.

So ergaben sich für die jeweiligen Bereiche zum Zeitpunkt Februar 2018 folgende Situationen.

1. Ebene: Tierschutzrechtliche Anforderungen Szenario 1

Das Tierschutzgesetz (TierSchG) legt in § 4 fest, dass derjenige, der im Rahmen zulässiger Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen ein Wirbeltier tötet, dieses nur dann darf, wenn er die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten hat. Diese Fähigkeiten können z.B. mit einer entsprechenden Fortbildungs- bzw. Ausbildungsmaßnahme oder durch eine Einweisung erlangt werden.

Personen, die berufs- oder gewerbsmäßig regelmäßig Wirbeltiere töten, haben gegenüber der zuständigen Behörde einen Sachkundenachweis zu erbringen. Die nächste Stufe ist die sogenannte § 11-Tierschutzgesetz-Erlaubnis zur gewerblichen Bekämpfung von Wirbeltieren als Schädlinge, die beim zuständigen Veterinäramt zu beantragen ist.

Diese Regelungen sind hinlänglich bekannt und unterliegen auch in absehbarer Zukunft keinen Änderungen.

2. Ebene: Chemikalienrechtliche Anforderungen Szenario 1

In § 16 der GefStoffV wird geregelt, dass ein Biozidprodukt nur ordnungsgemäß für den ausgewiesenen Verwendungszweck verwendet werden darf. Anhang 1, Nr. 3 der GefStoffV war bei der Anwendung von antikoagulanten Bioziden bisher nicht einschlägig. Sachkunden nach diesem Anhang wurden daher bisher im arbeitsschutzrechtlichen Zusammenhang nicht gefordert.

3. Ebene: Zulassungsrechtliche Anforderungen Szenario 1

Im Rahmen der europäischen und der nationalen Zulassung von bioziden Schadnagerbekämpfungsmittel mit blutgerinnungshemmenden Wirkstoffen wurde für die 1. Generation und die 2. Generation dieser Wirkstoffe Anwenderkategorien identifiziert, die mit Sachkundeforderungen einhergehen. Dabei sind „berufsmäßige Verwender mit Sachkunde“ im Sinne der Biozidproduktzulassung Inhaber des Sachkundenachweises gemäß Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung (PflSchSachkV) oder einer vergleichbaren „Sachkunde“ (Zertifikat), die eine Teilnahme an einer Schulung mit spez. Inhalten nachweist „RMM-Sachkunde“). „Sachkundige Verwender“ hingegen sind Inhaber des Sachkundenachweises gemäß Anhang I Nr. 3 der GefStoffV.

Soweit der Status Quo. Drei ineinander verzahnte Entwicklungen verändern die Situation:

Die Gefahrstoff- und die Chemikalienverbotsverordnung (ChemVerbotsV) wurden an die CLP-Verordnung (EU) [Verordnung (EG) Nr. 1272/2008] angepasst und damit das „global harmonisierte System“ (GHS) zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien in die genannten Verordnungen eingearbeitet. Gleichzeitig wurde in der EU Verordnung 2016/1179 vom 19. Juli 2016 Änderungen der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen zwecks Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt (9. ATP) vorgenommen. Diese Verordnung gilt ab dem 1. März 2018 und bezieht sich u. a. auf Konzentrationen der Antikogulanzien in Biozidprodukten, die zu einer Änderung der Kennzeichnung derselben führen.

Zusammengefasst bedeutet das:

a) Alle Produkte mit einer Wirkstoffkonzentration c≥30 ppm werden mit „reproduktionstoxisch“ (Repr.) gekennzeichnet und

b) fast alle Produkte auf dem Markt werden mit „spezifisch organtoxisch“ (STOT) gekennzeichnet.

Aus diesen Tatsachen ergeben sich in den o. g. Anforderungen auf der Ebene 2 (chemikalienrechtlich) und 3 (zulassungsrechtlich) folgende Änderungen:

2. Ebene: Chemikalienrechtliche Anforderungen Szenario 2

Zusätzlich zu den unter „2. Ebene: Chemikalienrechtliche Anforderungen. 1“ aufgeführten Punkten gilt hier nun die Forderung der GefStoffV, dass Tätigkeiten mit Stoffen, die als „Repr.“ eingestuft sind, nur von fachkundigen oder besonders unterwiesenen Personen ausgeführt werden dürfen [GefStoffV § 2(16) in Verb. mit § 8(7)].

Da Nummer 3 des Anhangs 1 derselben Verordnung für die Schädlingsbekämpfung mit als akut toxisch Kategorie 1 bis 4 oder spezifisch zielorgantoxisch Kategorie 1 oder 2 eingestuften Stoffen und Gemischen sowie Gemischen gilt, bei denen die genannten Stoffe freigesetzt werden (GefStoffV, Anhang 1, Nr.3, Satz1), ist zu prüfen, ob für den Einsatz der hier berücksichtigten Rodentizide, der Anhang einschlägig ist und eine entsprechende Sachkunde [siehe auch Technische Regeln für Gefahrstoffe Schädlingsbekämpfung mit sehr giftigen, giftigen und gesundheitsschädlichen Stoffen und Zubereitungen 523 (TRGS 523)] verlangt werden muss. Bei der Prüfung dieses Sachverhaltes ist zu berücksichtigen, dass Nummer 3 nur für jeden gilt, der Schädlingsbekämpfung berufsmäßig bei anderen durchführt oder nicht nur gelegentlich und nicht nur in geringem Umfang im eigenen Betrieb, in dem Lebensmittel hergestellt, behandelt oder in Verkehr gebracht werden, oder in einer Einrichtung durchführt, die in § 23 Absatz  5 oder § 36 des IfSG genannt ist (GefStoffV, Anhang 1, Nr. 3, Satz 2).

Das hat direkt zur Folge, dass Hilfskräfte und solche Mitarbeiter einer Schädlingsbekämpfungsfirma mit der Sachkunde „§ 4 TierSchG mit RMM“ nur noch unter unmittelbarere Aufsicht von Sachkundigen im Sinne Anhang 1, Nr. 3 der GefStoffV mit den Produkten arbeiten dürfen, bis sie selbst eine Sachkunde nach TRGS 523 erworben haben.

Der Klärwerkmitarbeiter dürfte z. B. mit der alten Sachkundekonstellation unter Beachtung der „guten fachlichen Anwendung“ wie gehabt weiterarbeiten (geforderte Sachkunden: Zusätzlich zur Sachkunde § 4 TierSchG entweder eine RMM-Sachkunde oder die Pflanzenschutzsachkunde).

Am Rande sei erwähnt, dass die „Repr.“-Kennzeichnung aufgrund der ChemVerbotsV den Modus der Abgabe von den hier berücksichtigten Biozidprodukten ändern wird. Die Frage der geforderten Art Sachkunde des Abgebenden bedarf noch der umfassenden Klärung. Die Pflanzenschutzsachkunde zur Abgabe von Pflanzenschutzmitteln wird aller Voraussicht nicht mehr ausreichen (vgl. Bekanntmachung der Hinweise und Empfehlungen zum Sachkundenachweis gemäß § 11 der Chemikalien-Verbotsverordnung vom 17. Mai 2018), die Selbstbedienung wird beendet und die Dokumentation der Abgabe wird sich umfangreich gestalten.

3. Ebene: Zulassungsrechtliche Anforderungen Szenario 2

Gemäß Verordnung (EU) Nr. 528/2012, Artikel 19 (4) wird ein Biozidprodukt nicht zur Bereitstellung auf dem Markt zwecks Verwendung durch die breite Öffentlichkeit zugelassen, wenn es die Kriterien gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 erfüllt, um wie folgt eingestuft zu werden:

– karzinogen der Kategorie 1A oder 1B,

– mutagen der Kategorie 1A oder 1B oder

– reproduktionstoxisch der Kategorie 1A oder 1B.

Dies und die Forderung der GefStoffV (s. o.) führen u. a. dazu, dass der Laie als Anwender der derzeitigen sich auf dem Markt befindlichen antikoagulanten Biozidprodukte nicht mehr in Betracht kommt, es sei denn es werden Produkte mit Antikoagulanzien der 1. Generation mit c<30 ppm zugelassen. Weiterhin gelten natürlich die Punkte weiter, die unter „3. Ebene: Zulassungsrechtliche Anforderungen Szenario 1“ zusammengefasst wurden.

FAZIT

Die betroffenen Produkte, so wie sie zurzeit auf dem Markt vertreten und mit „STOT“ gekennzeichnet sind, dürfen nur noch von Sachkundigen gem. Anhang 1, Nr. 3 angewandt werden, wenn die Anwendungen gleichzeitig die Kriterien der GefStoffV, Anhang 1, Nr.3, Satz 2 erfüllen (Nummer 3 gilt für jeden, der Schädlingsbekämpfung berufsmäßig bei anderen durchführt oder nicht nur gelegentlich und nicht nur in geringem Umfang im eigenen Betrieb, in dem Lebensmittel hergestellt, behandelt oder in Verkehr gebracht werden, oder in einer Einrichtung durchführt, die in § 23 Absatz  5 oder § 36 des IfSG genannt ist).

Als Anwender scheiden also z.B. diejenigen Lebensmittelunternehmer aus, die als „berufliche Anwender mit RMM-Sachkunden“ (vgl. Tab. 1) definiert werden, es sei denn spezielle Produkte mit Wirkstoffen der 1. oder 2. Generation werden zugelassen.

Was zurzeit noch nicht abzuschätzen ist, ist die Entwicklung in der zukünftigen Zulassung der antikoagulanten rodentiziden Biozide. Zwar werden auf den Internetseiten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Zusammenfassungen der neuen Bewertung solcher Biozidprodukte (SPC) bereitgestellt, allerdings werden dort im Zusammenhang mit der zukünftigen Wieder- und Neuzulassung nur Teile des Anhang 1 Nr. 3 der GefStoffV als Sachkundeforderungen aufgeführt, ohne die weitere Differenzierung der Schädlingsbekämpfung aus der GefStoffV zu übernehmen. Denn dort (GefStoffV, Anhang 1, Nr. 3, Satz 2) heißt es: „Nummer 3 gilt für jeden, der Schädlingsbekämpfung berufsmäßig bei anderen durchführt oder nicht nur gelegentlich und nicht nur in geringem Umfang im eigenen Betrieb, in dem Lebensmittel hergestellt, behandelt oder in Verkehr gebracht werden, oder in einer Einrichtung durchführt, die in § 23 Absatz 5 oder § 36 des Infektionsschutzgesetzes genannt ist.“

ZUSAMMENFASSUNG

  1. Es ist selbstverständlich, dass nur verkehrsfähige oder zugelassene Biozide angewandt werden. Der Anwender hat sich an die Angaben der Produktinformation bzw. Gebrauchsanweisung zu halten. Es ist nicht seine Pflicht, die Richtigkeit der Produktbeschreibung oder –Kennzeichnung zu überprüfen!
  2. Mit der EU-Verordnung 2016/1179 (auch 9. Änderungsverordnung) erfolgte eine Anpassung der CLP-VO an den sogenannten wissenschaftlichen und technischen Fortschritt. Darin wurden u. a. für alle antikoagulanten Wirkstoffe die Gefährdungseinstufungen konzentrationsabhängig verändert. Diese Änderungen und damit verbundene Kennzeichnungspflichten gelten ab dem 1. März 2018.
  3. Alle Produkte mit einer Wirkstoffkonzentration ≥ 30 ppm müssen als „reproduktionstoxisch“ (Repr.; H360D) gekennzeichnet werden.
    1. Diese Produkte dürfen für die breite Öffentlichkeit nicht bereitgestellt werden [Biozid-Verordnung (EU) Nr. 528/2012, Artikel 19 (4)]. Ein berufsmäßiger Anwender mit Sachkunde gehört nicht zur breiten Öffentlichkeit. Ein sachkundiger Verwender ebenfalls nicht.
    1. Der Anwender dieser Produkte muss fachkundig gem. § 2(16) in Verb. mit § 8(7) GefStoffV sein. Ein berufsmäßiger Anwender mit Sachkunde ist in diesem Sinne fachkundig, ein sachkundiger Verwender ebenfalls.
  4. Fast alle Produkte auf dem Markt müssen als „spezifisch zielorgantoxisch“ (STOT; H372 oder H373) gekennzeichnet werden.
    1. Fallen die Anwendung dieser Produkte unter den Anwendungsbereich des Anhang 1, Nr. 3 der GefStoffV, dann hat der Anwender eine Sachkunde gemäß diesem Anhang vorzuweisen (Schädlingsbekämpfung berufsmäßig bei anderen oder nicht nur gelegentlich und nicht nur in geringem Umfang im eigenen Betrieb, in dem Lebensmittel hergestellt, behandelt oder in Verkehr gebracht werden, oder in einer Einrichtung durchführt, die in § 23 Absatz 5 oder § 36 des IfSG genannt ist).
  5. Die „Befallsunabhängige Dauerbeköderung“ (BuD) darf mit Biozidprodukten mit den antikoagulanten Wirkstoffen der 2. Generation durchgeführt werden. Erst wenn es zu einer Zulassungsänderung, einer Wiederzulassung oder einer Neuzulassung eines Produktes mit den Wirkstoffen Difethialon, Brodifacoum oder Flocoumafen kommt und die neue Bewertung solcher Biozidprodukte (SPC – Summary of Product Characteristics) zum Tragen kommt, werden die drei genannten Wirkstoffe aus der BuD herausfallen. Letztendlich ist diese Tatsache der Produktbeschreibung und Gebrauchsanweisung zu entnehmen, die Teil der Zulassung sind.
  6. Um eine allgemeine Übersicht chemikalienrechtlicher Natur zu den hier angesprochenen Punkten (ausgenommen die BuD) zu geben, wurden verschiedene Konstellationen von Anwendern, Wirkstoffen und Kennzeichnungen von Produkten und den daraus resultierenden Einsatzmöglichkeiten der Produkte in Tabelle 3 aufgenommen.

Tabelle 1: Im Rahmen der nationalen Zulassung identifizierte Verwenderkategorien. Quelle: Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), verändert (FGAR: Antikoagulanzien der 1. Generation; SGAR: Antikoagulanzien der 2. Generation).

Tabelle 2: Änderungen der Einstufung von Biozidprodukten mit entsprechenden Wirkstoffkonzentrationen.

Tabelle 3: Übersicht über mögliche Konstellationen von Wirkstoffen (1. und 2. Generation) und deren Konzentration in Produkten in Bezug auf Anwenderkategorie und ggf. weitere Beschränkungen.